Die besonderen Herausforderungen am Irischen Musizieren

Wenn man mit erstmal in die irische Trad-Musik hineingeschnuppert hat, wird man feststellen, dass man sich 3 großen Herausforderungen stellen muss. Die größte - wie die Rückmeldung vieler Teilnehmer beweist - ist

1. Das Tempo

Klar, einen Slalomparcour gemütlich zu durchwandern, kriegt wohl jeder von uns hin. Das sieht aber dann mit Rennskiern an den Latschen und einem Gefälle von 40 % ganz anders aus.
Dazu muss man aber wissen: wenn man in einem irischen Pub sagen wir einem Akkordeonspieler zuschaut, kann man fast sicher sein, dass man ihn in 30 Jahren dort immer noch sitzen und spielen sieht. Ein Ire fängt als Kind an und hört als Greis auf, 60 Jahre Spielpraxis sind (Gesundheit vorausgesetzt) durchaus üblich. Ihr könnt Euch nun vorstellen, dass nach  - sagen wir -  6000 mal gespieltem "Far from Home" Tempo kein Thema mehr ist. Selbst bei halsbrecherischem Tempo sitzt jeder einzelne Ton wie festgezimmert.
Also, wie erreichen wir als kontinentale Möchte-Gern-Iren solch eine Spielsicherheit? Tja, leider erstmal garnicht - und wenn, dann nach Jahren. 

Wieso müssen Sessions dann eigentlich immer so schnell sein?
Antwort: Müssen sie nicht!

Spielt eure Sets nur so schnell, wie ihr Euch wohlfühlt. Irgendwann fallen Euch die Tunes leicht und erst dann werdet ihr es vielleicht sexy finden, das Tempo ein bisschen nach oben zu drehen.

Es wird euch generell helfen, wenn ihr den Ton so schlicht und leicht wie möglich spielt und die Melodie in schwere und leichte Töne unterscheidet.
Lasst die Finger so nah wie möglich am Griffbrett; keine Kraft verschenken, d.h. Finger nicht kraftvoll aufsetzen. Druck nur ausüben, wenn der Ton es wirklich erfordert. Geige und Flöten müssen Noten binden.

Fühlt in Euren Körper: wo sitzen Blockaden? Wo fühlt sich was hart an? Womit hat man immer Probleme?
Oder: wo fühlt sich etwas zu weich an? Wo scheint Kraft oder Energie zu versickern? Wo verschenkt ihr Bewegung, indem ein Gelenk zu weich ist? Wo kann man effektiver greifen, wenn man ein Gelenk versteift?

Übt mit Metronom: eine bequeme Geschwindigkeit einstellen, sich dabei an der schwierigsten Stelle orientieren. Den Tune langsam und entspannt(!) durchspielen, bis die Melodie sitzt und bis alle schwierigen Stellen glatt gehen. Tempo beibehalten und genau auf das Metronom hören. Den Schlag zur Hauptsache machen, die einzelnen Töne zur Nebensache. Stelle dir Arkaden vor: der Schag/Puls ist ein Pfeiler und die Noten sind die Bögen. Den Tune luftig spielen. Empfinde die Weite und Festigkeit der “Bögen” und konzentriere dich auf den Platz, der dazwischen ist.

Nun stelle das Metronom schneller. Singe den Tune in Gedanken mit und stimme dich auf das neue Tempo ein. Spiele wieder den Tune und versuche genau wie eben Gelassenheit und Festigkeit zu spüren. Koste den Platz zwischen den Tönen aus - ja da ist tatsächlich Platz dazwischen, Ehrenwort!

Nun ja, im ersten Jahr(en) wird das Tempo einer regulären Session zu schnell für Ungeübte sein. Sessions leben aber davon, dass Musiker aller Art zusammenspielen. Ich würde für die ersten Sessions folgende Herangehensweise vorschlagen: wer kein ausgeprägt solistisches Selbstbewusstsein hat, tut sich am besten mit netten Musikern ähnlichen Niveaus zusammen und lernt zusammen die gleichen Tunes. So hat er immer Rückhalt und kann sicherer die Sets anfangen. In einer hochkarätigen Session ist man schlau, wenn man sich ein Mitglied ausguckt, das besonders häufig die gleichen Tunes spielt.
Falls man selbst mit einem Set glänzen will, am besten drei, vier Tunes üben, bis sie wirklich gut sitzen. Diese sind in der Session viel mehr willkommen, als nur recht und schlecht gespielte. Warum nicht am Abend nur zwei exzellente Sets beisteuern und es sich den Rest der Session mit einem Bier gemütlich zu machen.

2. Herausforderung: Repertoire:
Wie um alles in der Welt lernt man diese aberwitzige Menge von Tunes und behält sie in seinem Kopf?
Antwort: Einer nach dem anderen!

Keine Angst, die ersten erlernten Tunes bedeuten die meiste Arbeit, weil man neben dem Lernen der Tunes selber auch das Melodiegedächtnis langsam trainiert. Das ist wie mit dem Gewichtheben in der Muckibude. Die ersten Gewichte scheinen furchtbar schwer, weil man die Bewegungsabläufe noch nicht gewohnt ist. Mit der Zeit lernen sich Tunes fast nebenbei.

Viel Üben könnt Ihr Euch dadurch ersparen, dass Ihr Sessions die Tunes „ablauscht“. Das hat auch den Vorteil, dass Ihr dadurch nicht nur die Melodie, sondern auch die Spielweise und die Verzierungen kopiert.

Mein Ehrenwort darauf, dass Ihr die dreifache Menge an Tunes lernt, wenn ihr sie schon vom Hören kennt. Beschafft Euch doch Euer Hörmaterial selbst: Legt Euer Handy oder Aufnahmegerät auf den Tisch und sammelt damit die neuen Tunes der Session ein. So habt ihr sie immer in der Hosentasche dabei, falls Euch mal langweilig ist. Ist ein super Soundtrack zum Beispiel beim Autofahren, und kostet nix.

3. Die Verzierungen:

Nicht dass 1. und 2. nicht schon schwer genug wären, nein, es gilt auch noch alle langen Noten mit winzigen GraceNotes/Ornamentations zu schmücken. Wir finden die
- Rolls (short, long)
- Tripletts
- Cuts
- Slides

Diese erkläre ich in der Learner Session, bzw auf Anfrage. Wem diese Verzierungen nicht reichen, möge einen Piper konsultieren. Die sind auf dem Gebiet die wahren Experten.